Landgasthaus-zum-Schwarzbachtal feinschmecker

„Fünf Sterne“ - Eine Kolumne

Sächsische Zeitung, 26. August 2004

Teure Hotels sind teure Hotels, weil man ihre Zimmerpreise nicht bezahlen kann. Die Zimmer unterscheiden sich nicht zwingend von denen in günstigeren Häusern, aber das ist auch nicht der Grund für ihre hohen Preise. Sie sind teurer, damit wir draußen bleiben. Jedenfalls 99,8 Prozent von uns.

Nur ich, Florian Felix Krull, komme in die Kempinskis dieser Welt hinein. Wie das? Verrat ich nicht! Vielleicht als heimlicher Hotelerbe oder als noch heimlicherer Bettentester. Jedenfalls nächtige ich manchmal in Häusern, deren Übernachtungsraten zu Bausparrechnungen eigener Art inspirieren: Ein Jahr im Hotel, und man hat ein Einfamilienhaus abgewohnt. Am Eingang befindet sich jeweils eine Messingtafel mit fünf Sternen, was dem Kundigen Distinktionsgewinn verspricht, dem Unkundigen aber signalisiert, dass im Restaurant keine Pommes serviert werden. Schon die Frage danach wäre obszön.

Um es gleich zu sagen: Ich kann solchen Relikten der Klassengesellschaft etwas abgewinnen. Wer wollte nicht wissen, wo sich die 0,2 Prozent Bessermenschen aufhalten, wenn die Revolution ausbricht? Allerdings befinden sich unter den Hotelgästen auch neutrale Beobachter. Wie ich. Man erkennt sie daran, dass sie sich in einem Raum aufhalten, an dem der Rest der Hotelgäste achtlos vorübergeht: in der Hotelbibliothek. Ein 5-Sterne-Haus muss eine Bibliothek haben, sonst ist es nur ein 4,88-Sterne-Haus. Und daran halten sich alle. Jeder findet ein lichtloses, vermufftes, für andere Zwecke untaugliches Gelass, in das sich ein Regal, ein Paar englischer Ledersessel und ein Tisch voller Uralt-Geohefte hineinzwängen lassen. Noch besser ist die Variante mit dem abschließbaren Bücherschrank, hinter dessen Glasscheiben sich aber nicht etwa wertvolle Erstausgaben finden, sondern Trivialschmöker, die um 1960 herum aktuell gewesen sein müssen. Einen Schlüssel zu diesem Bücherschrank gibt es nicht. Logisch. Bei Potemkin durfte auch niemand die Haustüren öffnen. Hier nun muss das Wort “Elite” fallen: Elite. Was ist das? Richtig: Menschen, die ein Balsamico - Dressing von Knoblauchtunke unterscheiden können. Die ein “Handicap” beim Golfen besitzen und vielmehr verdienen als 99,8 Prozent der Restbevölkerung, weil ihre Gehirnzellen besser oder schneller arbeiten. Diese Elite fürchtet offensichtlich, ihre Gehirnzellen durch einen Zusammenstoß mit Büchern zu beschädigen. “Brrr! Ein Buch!” sagt sie, wenn sie an einem viereckigen Gegenstand aus Papier vorbeikommt, auch wenn es sich dabei um eine Pralinenschachtel handelt. Bücher sind brandgefährlich, und so spiegelt der Umgang der Hoteldirektoren mit ihnen die Abneigung der Elite gegen das geschriebene Wort wider. Schließlich sind die Direktoren nur erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, sich dem Geschmack und den Gewohnheiten ihrer Klientel anzupassen. Ein Trauerspiel, und wer nicht nur ein leibfreundliches, sondern auch ein geistesoffenes Ambiente schätzt, muss ein paar Sterne sausen lassen. Zum Beispiel, indem er das Landgasthaus “Zum Schwarzbachtal" in der Sächsischen Schweiz ansteuert. Landgasthaus? Es ist eine kleine Offenbarung: vorzügliche Küche und Regale voller Bücher. Bücher, die man nicht nur lesen kann, sondern die mindestens einmal durchgeschmökert worden sind. Kein Wunder, ist die Hausherrin doch promovierte Germanistin und liebt Literatur und gutes Essen gleichermaßen. Wäre schön, wenn sich die Elite mal in Hohnstein-Lohsdorf blicken ließe. Die Preise sind allerdings derart unelitär, dass man sie mit Trinkgeld aufstocken muss. Das fließt bestimmt vollständig in den Ankauf neuer Bücher. In Fällen verzweifelter Desorientierung hilft der Kolumnist bei der Auswahl gerne weiter. Er ist schließlich das Kind von Bibliothekaren.

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